Psychisch belastende Extremsituationen: So helfen Sie Ihren Mitarbeitern

Kommt es in Unternehmen zu psychischen Krisen von Mitarbeitern, müssen Arbeitgeber schnell handeln. Im Interview verrät Ulrich Welzel, Experte für psychosoziale Notfallversorgung, worauf es ankommt.

Psychisch belastende Extremsituationen: So helfen Sie Ihren Mitarbeitern

Ulrich Welzel berät Unternehmen bei psychisch belastenden Extremsituationen von Mitarbeitern

Psychisch belastende Extremsituationen am Arbeitsplatz häufen sich: Der AOK-Fehlzeitenreport 2017 bestätigt einen Anstieg der Krankschreibungen aufgrund von psychischen Belastungen von 79,3% zwischen 2006 und 2016. Kommt es zum Ernstfall, sind Arbeitgeber in mehrfacher Hinsicht gefordert. Dabei geht es nicht nur darum, den Mitarbeitern zu helfen, sondern auch, formale Regeln einzuhalten und die Kostenseite im Blick zu behalten. In unserem Interview erklärt Ulrich Welzel, Inhaber der Beratungsfirma Trauma am Arbeitsplatz, was die entscheidenden Schritte sind.

Herr Welzel, Statistiken belegen, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz deutlich zugenommen haben: Warum?

Beim Warum gibt es jede Menge wissenschaftlicher Abhandlungen. Erstaunlich sind die Fakten: So geht die AOK von einem Anstieg der Krankschreibungen aufgrund von psychischen Belastungen um rund 80 Prozent zwischen 2006 und 2016 aus.

Was sind – wenn es so etwas überhaupt gibt – „typische“ Ereignisse im Unternehmen, die zu psychisch belastenden Extremsituationen führen?

Es gibt nicht das typische Ereignis. Es kann der plötzliche Tod des Unternehmers, der Suizid der Mitarbeiterin, der Kindstod in der Familie des jungen Mitarbeiters oder eine schwere, tödlich verlaufende Krebsdiagnose sein. Natürlich muss es in psychisch belastenden Extremsituationen nicht immer um Tod und Krankheit gehen: Auch schwer wiegende Mobbingvorwürfe gehören dazu.

Welche Unternehmen sind davon betroffen?

Alle Unternehmensgrößen, alle Branchen. Vom kleinen Handwerkbetrieb bis zum DAX-Konzern.

Welche Maßnahmen der „Ersten Hilfe“ raten Sie Arbeitgebern oder Personalverantwortlichen, wenn es zum Krisenfall kommt?

Das kommt auf die jeweilige Situation, das Umfeld und die handelnden Personen an. Es gibt keine Checkliste, die auf alle Ereignisse gleichermaßen passt – was es so schwer macht. Großunternehmen haben ihre eigenen Abteilungen und sind auf Unfälle und Todesfälle oftmals vorbereitet. Bei den meisten Mittelständlern und auch im Handwerk sieht es dagegen ganz anders aus. Jeder Unternehmer hofft, dass es nie zu einem überraschenden Todesfall, zum schweren Unfall oder auch nur zu Mobbingvorwürfen kommt.

Sie beraten und begleiten Unternehmen bei der psychosozialen Notfallversorgung: Was gehört alles dazu?

Je nachdem in welcher Situation das Unternehmen mich kontaktiert, geht es vor allem darum, sofort Lösungen parat zu halten. Ist zum Beispiel ein Mitarbeiter im Unternehmen verstorben, geht es zunächst um den normalen Rettungsablauf. Polizei, Notarzt, Kriseninterventionsteam, Berufsgenossenschaft und so weiter. Nach Abzug aller Rettungskräfte holen uns Unternehmensleitungen oder ein Sicherheitsbeauftragter oft ins Unternehmen, weil sich zwar die erste Aufregung gelegt hat, jedoch am Anfang viele organisatorische Dinge im Raum stehen: Wer nimmt Kontakt mit der Familie des Verstorbenen auf? Wie sollen Mitarbeiter und Kunden informiert werden? Manchmal steht auch die Presse vor der Tür, die ihre Fragen loswerden will.

Was ist der Vorteil, wenn Unternehmen in dieser Situation einen Berater hinzuziehen?

Als externe Profis sind wir geschult und haben emotional Abstand. Wir bringen Ruhe, Struktur und Halt in diese schwierige Situation. Wir haben Zeit für die Geschäftsleitung, für die Kollegen, für die Familie des Verstobenen.

Wie sieht dann die weitere Zusammenarbeit aus?

Ist das Unternehmen weit entfernt, wird sofort telefoniert. Eine Telefonkonferenz mit der Unternehmensleitung und Mitgliedern des Arbeitssicherheitsausschusses kann bis zu zwei Stunden dauern. Am Ende ist eine erste Stabilität im Unternehmen zu spüren, und wir packen die Koffer und sind am nächsten Morgen vor Ort. Sind Mitarbeiter stark betroffen, sprechen wir mit den Mitarbeitern. Auch hier steht die Stabilisierung des Einzelnen im Vordergrund.

Gibt es typische Fehler, die häufig gemacht werden?

Nicht vorbereitet sein. Und im Fall der Fälle wegducken und hoffen, dass morgen wieder alles beim Alten ist. Keine externe Hilfe anfordern oder zu spät reagieren. Diese Vorgehensweise rächt sich aus unsere Erfahrung.

Welche Möglichkeiten der Prophylaxe gibt es, um ernste Krisen zu vermeiden?

Neben den allgemeinen, gesetzlichen Sicherheitsstandards sollten Unternehmen ihr Notfallmanagement aufbauen oder ergänzen. Dazu gehört auch ein Einbeziehen der Presseabteilung. Gibt es keine Presseabteilung, liegt der Informationshoheit in Krisenfällen bei der Geschäftsführung. Immer wieder erleben wir im Fall der Fälle eine völlige Überforderung, wenn Mitarbeiter wissen wollen was los ist, wenn die Presse vor der Tür steht oder die Bevölkerung informiert werden will. All das sollte geübt sein, um angemessen reagieren zu können.

Gibt es Anzeichen, anhand derer man eine drohende psychisch belastende Extremsituation eines Mitarbeiters erkennen kann?

Auch hier gibt es keine Checkliste. Nehmen Sie ein aktuelles Beispiel, mit dem wir zu tun haben. Ein Vorgesetzter in der Produktion eines Industriebetriebs wusste, dass seine Mitarbeiterin ihren demenziell erkrankten Vater Zuhause pflegt. Sie litt unter Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfung, er nahm Händezittern bei ihr wahr, reagierte jedoch nicht. Erst als es zu einem Unfall mit einer Teilamputation des Zeigefingers kam, war das Klagen groß. Der Vorgesetzte macht sich heute massive Vorwürfe, seiner Wahrnehmung nicht gefolgt zu sein. Ihm ist jetzt bewusst, welche Doppelbelastung häusliche Pflege für die Familie bedeutet. Und dass es dann unter Umständen andere Arbeitszeitmodelle benötigt.

Wie erfolgt im Bedarfsfall die Zusammenarbeit mit Ärzten und Therapeuten aus?

Nach außergewöhnlichen psychisch belastenden Extremsituationen, zum Beispiel durch Unfälle oder Todesfälle, sollten Vorgesetzte wissen, welche physischen und psychischen Reaktionen und Verhaltensänderungen auftreten könnten. Klingt ein Stresszustand auch nach mehreren Wochen nicht ab, empfehlen wir, einen Trauma-Spezialisten zu suchen. Da Diese haben allerdings oft Wartezeiten von bis zu 10 Monaten. Für diese Situation haben wir ein Netzwerk von Trauma-Therapeuten, auf die Unternehmen und Betroffene zurückgreifen können.

Wie sollte eine Wiedereingliederung von Mitarbeitern aussehen?

Beim betrieblichen Eingliederungsmanagement sehe ich immer wieder große Defizite bei der Gesprächsführung. Von den handelnden Personen wird deutlich mehr abverlangt als sonst. Kommt der Mitarbeiter zurück ins Unternehmen, erleben wir häufig, dass das unmittelbare Team nicht vorbereitet ist. Die möglichen Folgen: Isolation, wiederholte Krankmeldung und immer wieder Kündigungen.

Als Berater haben Sie auch den betriebswirtschaftlichen Blick auf psychisch belastende Extremsituationen und deren Folgen. Was können Sie dazu sagen?

Jedem Unternehmensverantwortlichen sollte klar sein, dass jeder Fehltag dem Unternehmen durchschnittlich 409 EUR kostet. Sprich: Wenn ich als Unternehmer die Fehltage nicht in Griff bekomme, kostet mich das Umsatz, vielleicht sogar den Verlust von Mitarbeitern und ein schlechtes Arbeitgeberimage. Sowohl aus betriebswirtschaftlichen als auch aus ethischen Gründen gilt deshalb: Gehen Sie achtsam mit der Gesundheit Ihrer Mitarbeiter um.

Über Ulrich Welzel:

Ulrich Welzel ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens „Trauma am Arbeitsplatz“. Das Unternehmen, ein multidisziplinäres Spezialisten-Team, hat sich der psychosozialen Notfallversorgung und den notfallpsychologischen Interventionen in allen Facetten verschrieben. Unternehmen präventiv auf den Notfall vorzubereiten, in der Akutphase die Betroffenen zu stabilisieren und den Betrieb zu unterstützen, sowie Betroffene in der Nachsorge zu begleiten, versteht Ulrich Welzel als seine Hauptaufgaben.

„Trauma am Arbeitsplatz“ hat sich der psychosozialen Notfallversorgung und den notfallpsychologischen Interventionen in allen Facetten verschrieben. Ziel der Maßnahmen ist es, die vielfältigen Folgen eines traumatischen Ereignisses für Betroffene wie für Unternehmen zu minimieren.

Kontakt
Trauma am Arbeitsplatz
Ulrich Welzel
Blumenstraße 6a
82377 Penzberg
(8856) 937 93 93
ulrich.welzel@trauma-am-arbeitsplatz.de
http://trauma-am-arbeitsplatz.de